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Ostermaier, Albert

Zwischen zwei Feuern
Tollertopographie

Sprechtheater
Schauspiel

Dekorationshinweis: Grunddeko., 1 Dekoration
Besetzung: 2H

Publikation: Suhrkamp Verlag, 1999 (Tatar Titus. Stücke)
Bstnr/Signatur: 101289

Aufführungsgeschichte:
UA: Bayerisches Staatsschauspiel, Marstalltheater, München, 20.6.1995, Regie: André Wilms

In TTX seit: 27.03.2001

Beherrscht der Dichter seine Sprache oder beherrscht sie ihn? Besitzt er noch ein Leben, oder hat ihn seine Biographie schon in Besitz genommen? – Ernst Toller, im New Yorker Exil, durchleidet seinen letzten Tag, den 22. Mai 1939: Die hektischen Lichter der Großstadt lassen das Hotel-Apartment, die Erhängungsmaschinerie, den Schminktisch in unruhiger Konturenlosigkeit erzittern.
Toller sieht abermals die Menschlichkeit scheitern, die Raserei der Nazis scheint jede Hoffnung endgültig zu tilgen, er spielt mit dem Gedanken an Selbstmord. Die Selbsttötung gelingt aber nur, wo der Mörder sein Selbst beherrschen oder wo er es vergessen kann.
Zunächst fehlt Toller die Selbstbeherrschung, zu sehr hat er sich an sein Werk weggegeben, und ihm fehlt auch die Selbstvergessenheit, zu sehr reflektiert der Intellektuelle seine Verantwortung. Ostermaiers Stück entwirft nun eine »Topographie« der Künstlerseele, indem es zeigt, wie Toller vom Zyniker Tollkirsch durch eine Art Boxring gehetzt und schließlich doch noch in den Selbstmord getrieben wird. Tollkirschs Erscheinung changiert dabei zwischen schemenhafter Imagination und erdrückender Präsenz.
»TOLLKIRSCH: ... betrogen/um die messerspitze wahrheit/in den worten/betrogen/um die Worte selbst/rast du gehörnt/wie eine ganze herde/durch die arena deines herzens/ein aufgeschreckter/der zu guter letzt/am eigenen spiess/sich um die achse brüllt/ ... /streckst dein aufgespiesstes/herz dem volk entgegen/das längst den schauplatz/deiner kämpfe müd/verlassen hat & jetzt/dem sieger applaudiert ...«
Toller skandiert seine aufbegehrenden Reden selbstverliebt in den Schminkspiegel, er mimt ein letztes Mal den charismatischen Volksredner, er sucht sich zu beweisen, daß er doch noch einen Auftrag hat und deshalb am Weiterleben festhalten muß. Tollers revolutionäre Botschaften werden zu sprachlichen Gleisen, auf denen ihr Schöpfer mit fortgerissen wird, bis er in eine fast fanatische Selbstanklage ausbricht. Angesichts der Wortkaskaden wirft Tollkirsch dem Dichter Tatenlosigkeit vor, und es stellt sich die Frage, ob allein Taten ans Leben binden oder nur das Denken den Tod überwindet.
Die Seelöwen im Central-Park weinen durch die Nacht, Kampfliedfetzen und Schlachtenlärm aus dem Spanischen Bürgerkrieg wehen in Tollers Exil-Gefängnis, der Aktienindex rattert von Wallstreet herüber – Ostermaier entwirft ein vielstimmiges Requiem, eine beschwörende Klage der Vergeblichkeit. Das Stück tastet nach den Gründen für das Scheitern eines Menschheitstraums, indem es die Selbsttötung Ernst Tollers zu verstehen trachtet: »DAS TUT DIR EIN ANDERER AN. EINER/DEN DIE JAHRE DER EMIGRATION/PLÖTZLICH UM SICH SELBST/GEBRACHT HABEN.«

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