»Lieber Georg« ist keine Biografie des 1912 auf der Havel beim Eislaufen verunglückten Dichters Georg Heym. Thomas Brasch montiert kurze Texte und Szenen, Traum- und Zerrbilder zu einem Bewusstseinsstrom, der biografische Erfahrungen, Verse, ein Lebensgefühl des Dichters Heym, aber auch das gesellschaftliche und kulturelle Leben der Zeit aufleuchten lässt. Die Zeichen und gesellschaftlichen Prägungen der Zeit, das sind Begeisterung für Boxen, Südpolexpedition, Luftschiff, Untergang der Titanic, die »Gelbe Gefahr«, die Revolution von Sun-Yat-sen, dem Begründer des modernen China, und auch das Ersehnen einer neuen Religion. Eine Zeit, gelesen durch das Temperament eines jungen Künstlers, »zwischen Lebensgeilheit und Todessehnsucht«, wie der Kritiker Henning Rischbieter zur Uraufführung 1980 schrieb; geprägt durch die autoritäre Erziehung im Wilhelminismus, die Missachtung durch den Vater und eine übersteigerte Vorstellung von der eigenen Genialität und die Versprechen eines bevorstehenden Krieges, in den sich die Altersgenossen zwei Jahre nach Heyms Tod begeistert werfen sollten. Dieses ohne Punkt und Komma geschriebene Theater findet im Kopf des Dichters statt: der den stotternden Sohn verspottende Vater tritt auf oder die Heym umgebenden Frauen (»Gegegeorg Der Krieg ist ausgebrochen Willst du dich nicht aufs Söckchen machen Kleiner Die Tritratruppe ruft Der Fifafeind ist da Die Heimat will verteidigt sein Der Russe kommt«). Diese offene Dramaturgie ermöglichte es Brasch, »äußerst autobiographisch zu sein«, in einer Zeit des »Nachrüstungsbeschlusses« reflektiert er in der Szene »Außerhalb des Krieges 1979« seine eigene Autorenposition.
»Es könnte sein«, so Henning Rischbieter in Theater heute, »geht es nach den Kritiken der Aufführung, … daß dieses ›Eis-Kunst-Läufer-Drama aus dem Vorkrieg‹ für unser Theater folgenlos bleibt, weil als ›schmissiges Entertainment‹ (Georg Hensel, FAZ) abgetan. Das wäre fatal. Dies Theater – soll ich schreiben, hat? Soll ich schreiben: hätte? Zukunft.«
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