Auch der neue sozialistische Mensch braucht seinen Fernsehabend. Der Fernsehabend kennt keine Mauer. Samstag Ein Kessel Buntes, Sonntag Bonanza. Wenn man beruflich aufsteigen will, ist es besser, sich nicht dabei erwischen zu lassen. Einar Schleef hat eine wüste, genaue Groteske geschrieben, wie es in der DDR zuging bei dieser allabendlichen Wiedervereinigung. Fünfzehnte Hochhausetage Ost, der hervorragende Kollektivist der Sozialistischen Arbeit, schlägt die Inneneinrichtung zu Klump, die Mattscheibe am Kopf der Ehefrau, nachdem er die Bonanza-Schießerei gelobt hat: »Die werden mit ihrer Vergangenheit fertig.« Natürlich wird alles wiederaufgebaut, läuft der Fernseher wieder. Während Johannes Heesters ein Lied aus seiner Heimat zum Mitsingen einübt, steigt das Wasser. Am Fensterrahmen klammern sich, vorbeischwimmend, Sohn und Tocher fest. »Weiterschwimmen«, befiehlt die Mutter und tritt zu. Sie will die Chance nützen: »Wir müssen wieder Kinder kriegen, die leben dann im Meer, kriegen Kiemen, Flossen und kriegen wieder Tiere, das ist der neue Weltanfang, von hier wird alles geboren.« Und Vater sekundiert: »Jeder tut seine Pflicht. Nur aus unseren Kadavern läßt sich das Neue formen, das neue Glied, die neue Geschichte.«
Einäugige Häme über das Paradies der Spießigkeit und Verlogenheit, das sich als neue Gesellschaft geriert? Schleef wütet weniger gegen den Mauerstaat als gegen »die Mauer in jedem von uns«; dieses Leben, eine absurde Fehlkonstruktion, hüben wie drüben. »Willst du auch aus dem Fenster springen?« – »Damit du’s am Balkon einkerben kannst.« – ein Hochhausdialog in Karl-Marx-Stadt wie in Mönchengladbach. Wiedervereinigung durch Wasser – Schleefs Alptraum gesamtdeutsch.
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