„Ich habe diese Männer satt. Ich habe diese Frauen satt. Ich habe diese Kinder satt. Ich habe die ganze Menschheit satt.“ Insbesondere aber hat Agnes, einst erfolgreiche Romandebütantin, diese Gesättigten der intellektuellen Kuschelzone satt, deren kulturfondgeförderte Flüchtlingsprojekte immersiv und transmedial, performativ und radikal verstörend die bürgerliche Lebenslüge entlarven wollen. Dabei leben die Agnes Umgebenden, die mehr oder minder Kunstschaffenden zweier Generationen, genau diese Lebenslüge. Und Agnes enttarnt sie schonungslos auf ihrem Blog. Denn: „Für den Künstler existiert das Private nicht.“ Selbst die Mutterliebe zu ihrem Sohn Orlando steht als „Spezialbeziehung“ unter Korruptionsverdacht und darf keine Gnade walten lassen. Doch wer bleibt Agnes, wenn sie mit der vermeintlichen, vom Schneckenschleim der urbanen Gemeinschaft befreiten Wahrheit um sich schlägt? Zum Schluss eigentlich nur der junge Elias, ein freiwillig arbeitsloser, nicht-sesshafter Philosoph, „ein Bräutigam der Wahrheit“, dessen schonungslos-erhellende Sprachkritik alle und alles in Frage stellt – und der Agnes‘ Sofa ob seiner wirtschaftlichen Situation auch gar nicht verlassen will. Kann also nur noch der rurale Rückzug, den Agnes sich als Befreiung aus der Gesellschaft wünscht, glücklich machen?
Rebekka Kricheldorf zeichnet ein Portrait der kreativen Bohème und schreibt über ihre Titelfigur: „Ist also Agnes, die Tugendwächterin, nicht die einzige integre Persönlichkeit in einer Meute verlogener, feiger Schranzen, sondern nur eine eitle Provokateurin, die zu Recht aus der Gemeinschaft verstoßen werden muss, da ihre Weigerung, die subtilen Spielregeln der Wahrheitsinterpretation, die das Miteinander erst erträglich machen, zu erlernen, nichts anderes ist als ein gefährlicher Mangel an Menschlichkeit?“
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